Bild, das Landschaft zeigt
Blick von den Ausläufern des Khangai-Gebirges ins Orchontal © H. Wittersheim / DAI

Wilhelm von Rubruk und Karakorum

Eine der wichtigsten und interessantesten Schriftquellen zur mittelalterlichen mongolischen Hauptstadt Karakorum stammt ausgerechnet aus dem lateinischen Europa. Es ist der Reisebericht des flämischen Franziskanermönchs Wilhelm von Rubruk. Wer war dieser Reisende und was brachte ihn nach Karakorum?

Gesandtschaften aus Europa zu den Mongolen

Lange Zeit gab es keine direkten Kontakte zwischen Europa, der Mongolei und Ostasien. Nach dem sogenannten „Mongolensturm“ jedoch, den militärischen Operationen mongolischer Armeen in Ost- und Südosteuropa in den Jahren 1237–1241, änderte sich dies. Auf den Schock des Mongolensturms folgten Neugier und Interesse. Europäische Herrscher veranlassten eine Reihe von Gesandtschaften, die militärische und diplomatische Informationen sammeln und die Herrscher der Mongolen möglichst zum Christentum bekehren sollten. Auftraggeber solcher Gesandtschaften waren unter anderen der Kaiser von Byzanz, der Papst sowie der König von Frankreich. Diese Reisen waren für die Europäer der Auftakt zur Erschließung von neuen Horizonten in Asien.

Bis zu diesem Zeitpunkt war das Wissen der Europäer über Asien unsicher und legendenhaft. Es stützte sich fast ausschließlich auf antike Texte. Die Reisenden des 13. und 14. Jahrhunderts lieferten erstmals Berichte aus eigener Anschauung. Ihre Schriften enthalten Angaben zu Sitten, Bräuchen, Religion und Alltagskultur aber auch geographische Informationen über die Regionen und Völker Zentralasiens, der Mongolei und Chinas. Aus Westeuropa erreichten zunächst Gesandte in päpstlichem Auftrag die Mongolen. Innozenz IV. schickte im März des Jahres 1245 zwei Gesandtschaften mit Briefen zu den mongolischen Herrschern in Südrussland und Persien. Sie hatten das Ziel, die Mongolen von ihrer aggressiven Politik abzubringen und insbesondere im Nahen Osten ihre militärische Macht gegen die Muslime im Heiligen Land zu lenken. Von einer dieser Gesandtschaften berichtet das Werk des Johannes von Plano Carpini. Der damals bereits betagte Franziskanermönch war bis an den Hof des Großkhans Güyük in der Mongolei gereist. Die Antwort, die er vom mongolischen Herrscher auf das Schreiben des Papstes erhielt, war jedoch nicht befriedigend. Der Brief des Mongolenherrschers enthielt die Aufforderung zur Unterwerfung des Papstes und aller Herrscher der westlichen Völker unter die mongolische Oberhoheit.

Dem diplomatischen Misserfolg von Johannes‘ Gesandtschaft stand aber eine Fülle von Informationen gegenüber, die er während seiner langen Reise (1245–1247) aufgezeichnet hatte. Er verarbeitete sie zu einer umfangreichen Abhandlung über Geografie, Kultur, Religion, Mentalität, Politik, Diplomatie und Militär der Mongolen, der „Ystoria Mongalorum“, der er seine Reiseaufzeichnungen beifügte.

Das „Itinerarium“ Wilhelm von Rubruks

Den detailliertesten westlichen Bericht über die Mongolen des 13. Jahrhunderts und ihre Hauptstadt Karakorum verdanken wir ebenfalls einem Franziskanermönch: dem Flamen Wilhelm von Rubruk. Sein „Itinerarium“ genannter Bericht ist ein sehr persönlicher, detaillierter Reisebericht. Mehr als seine Vorgänger strebte er danach, die Mentalität der Mongolen zu verstehen. Sein Bericht gibt lebendige Einblicke in das Leben der einfachen und hochgestellten Mongolen und in ihre Glaubenswelt.

Der Anlass seiner Reise war das Gerücht, dass Sartach, ein Fürst der Goldenen Horde und Sohn Batu Khans zum Christentum konvertiert sei.

Die “Goldene Horde” bildete zu dieser Zeit den westlichsten Teil des Mongolenreiches. Rubruk wollte am Hof Sartachs bleiben und die dortigen Mongolen zum Christentum bekehren.

Rubruk war also kein Gesandter, sondern sah sich vor allem als Missionar und Seelsorger. Dennoch führte er ein Empfehlungsschreiben des französischen Königs bei sich. Es war an den mongolischen Fürsten Sartach gerichtet, dessen Hof ja das Ziel des Mönchs war. Darüber hinaus verdanken wir die Existenz seines Berichtes dem königlichen Befehl an Rubruk, alles was er gesehen und erlebt hatte niederzuschreiben.

Die Karte zeigt die Reiseroute Wilhelm von Rubruks, ausgehend von Konstantinopel, durch Zentralasien, bis Karakorum.
Reiseroute Wilhelm von Rubruks. © H. Rohland / DAI

Reise durch Zentralasien

Sein Bericht beginnt damit, dass er im Mai 1253 gemeinsam in Begleitung seines Ordensbruders Bartholomäus von Cremona, zwei weiterer Begleiter und eines Dolmetschers aufbricht, um das Schwarze Meer zu überqueren. Die Fahrt führte zunächst auf die Halbinsel Krim. Von dort umrundete er zu Land das Asowsche Meer. Im Anschluss überquerte er den Don und erreichten das Lager Sartachs. Rubruks ursprünglicher Plan, die Heidenmission an Sartachs Hof, ging jedoch nicht auf. Sartach sah sich nicht berechtigt über das im Brief des französischen Königs vorgetragene Anliegen, dass die Mönche bei ihm bleiben sollten, zu entscheiden. Er schickte die Missionare daher weiter an den Hof seines Vaters Batu Khan. Auch dieser wollte keine Entscheidung über den Wunsch der Mönche treffen, bei den Mongolen zu missionieren, so dass sie wiederum weitergeschickt wurden – zum Großkhan Möngke nach Karakorum. Sie brachen am 15. September des Jahres 1253 auf und durchquerten Zentralasien zu Pferde. Rubruks Bericht schildert anschaulich die Strapazen der Reise. Er erzählt von Tagesritten von über 60 Meilen, von erschöpften Pferden, Hunger, Durst und Kälte. Er zeichnet zugleich ein lebendiges Bild von dem bunten Gemisch der Völker und Religionen in Zentralasien während der Mongolenzeit. Auf seinem Weg besuchte er muslimisch geprägte Städte und hörte von deutschen Bergleuten und Handwerkern im Tian-Shan Gebirge. Zugleich wurde er Zeuge der Zerstörungen, welche die mongolischen Feldzüge angerichtet hatten. Er erwähnte eine Vielzahl von zerstörten Städten im Siebenstromland südlich des Balchaschsees. In der Stadt Qayaligh, an den nördlichen Ausläufern des Alatau-Gebirges gelegen, kam er erstmals mit Anhängern und Geistlichen der buddhistischen Religion in Kontakt, die er stets als „Götzendiener“ bezeichnet. Er beschreibt an dieser Stelle auch den Aufbau eines buddhistischen Tempels. An der Nordseite sei immer das Hauptgötzenbild aufgestellt gewesen. Interessant ist hier sein erster Verweis auf die Stadt Karakorum: Dort habe er ein solches Götzenbild gesehen, das so groß wie ein gemaltes Christophorus-Bildnis gewesen sei. Das beschriebene Götterbild muss also riesig gewesen sein. Diese Nachricht bezieht sich möglicherweise auf die überlebensgroßen Buddhafiguren, deren Reste bei der Ausgrabung der „Großen Halle“ in Karakorum gefunden wurden.

Am Hof Möngke Khans

Nur dreieinhalb Monate später, am 27. Dezember, erreichten die Mönche das Hoflager Möngke Khans. Hier traf er auf einen armenischen Mönch und zahlreiche nestorianische Christen. Einige von ihnen hatten bedeutende Funktionen im Umfeld des Hofes inne, einer war sogar der Kanzler des Herrschers. Beim Lager Möngkes befanden sich auch Europäer aus der lateinischen Christenheit, darunter Ungarn und Franzosen sowie Reisende aus dem Nahen Osten und den Kreuzfahrerstaaten. Rubruk und sein Begleiter wurden von Möngke zu einer Audienz empfangen und integrierten sich anschließend in das religiöse Leben des Hofes. Meistens begleiteten sie den armenischen Mönch und einige nestorianische Priester zu Kulthandlungen in die Jurten Möngke Khans und seiner teilweise christlichen Ehefrauen und Nachkommen. Rubruk zeigte sich jedoch enttäuscht über die mongolischen Christen. Sie waren seiner Auffassung nach nicht richtig getauft und angeleitet; zudem hingen sie der Wahrsagerei und Götzendienerei an. Er erkannte auch schnell, dass Möngke Khan selbst keine der Religionen bevorzugte. Er erwies allen religiösen Gemeinschaften Respekt und unterstützte ihre Würdenträger an seinem Hof. Im Gegenzug hatten diese für sein Heil zu beten.

Grabung im Bereich der Nordstadt bei winterlichem Wetter © M. Riemer / DAI

Rubruk in Karakorum

Nach einiger Zeit erreichte der Hof mit Rubruk im Gefolge die Stadt Karakorum. Hier folgt die ausführlichste zeitgenössische Beschreibung der Stadt. Sie beginnt mit dem Hof des Herrschers. Hier befand sich eine große Residenz sowie viele weitere Gebäude. Sie waren „groß wie Scheunen“ und dienten der Aufbewahrung seiner Vorräte und Schätze. Die ganze Anlage war von einer Ziegelmauer umgeben. Im Eingangsbereich der Residenz stand ein aus Silber gefertigter Baum. Verziert mit silbernen Löwen und goldenen Schlangen spendete er fünf verschiedene Getränke. Angefertigt hatte ihn der Pariser Silberschmied Wilhelm Bouchier, der als Kriegsgefangener nach Karakorum geraten war.

Für die Beschreibung des Palastes zieht Rubruk das ihm vertraute Beispiel einer Kirche heran. Er sei dreischiffig gewesen und habe im Süden drei Portale besessen. Der Thron des Herrschers befand sich gegenüber an der Nordseite auf einem erhöhten Podest, das von zwei Treppen erschlossen wurde. An der Westseite hielten sich die Männer des Hofes auf, an der Ostseite die Frauen, wobei die Familie des Herrschers ebenfalls erhöht saß. Damit zeigte der Palast die gleiche räumliche Anordnung, wie sie in mongolischen Jurten üblich ist: der Hausherr sitzt gegenüber der stets nach Süden gerichteten Tür. Der Ehrenplatz für geschätzte Besucher ist zu seiner rechten. Männliche Familienmitglieder und weitere Besucher halten sich – je nach ihrem Rang – ebenfalls entlang der rechten Seite der Behausung auf. Frauen und Kinder befinden sich auf der gegenüberliegenden Seite zur Linken des Hausherrn. Diese Ordnung wird in der ländlichen Mongolei bis heute eingehalten.

Die Stadt selbst soll laut Rubruck der Vorstadt des Klosters St. Denis nicht ebenbürtig gewesen sein. Sie enthielt zwei Straßen oder Stadtviertel (vici). An einer Straße lebten hauptsächlich Muslime. Hier befanden sich die Märkte der Stadt. Sie waren ein Anlaufpunkt für viele Händler. An der anderen Straße lebten Chinesen, die alle Handwerker gewesen seien. Abgesehen von diesen beiden Straßen gab es große Gebäude, die als Kanzleien des Hofes dienten, zwölf “Götzentempel” verschiedener Nationen – Rubruk meint damit vermutlich buddhistische Tempel – zwei Moscheen und eine christliche Kirche. Die Stadt war von einer Mauer aus Lehm umgeben und hatte vier Tore, an denen Märkte abgehalten wurden: Im Osten wurde Getreide gehandelt, im Westen Schafe und Ziegen, am Südtor Rinder und Wagen und im Norden Pferde.

Rubruk wurde in einem Zelt nahe der Kirche untergebracht. Er nahm am religiösen Leben der Christen in Karakorum teil, auch wenn er sich häufig um die – in seinen Augen fehlerhafte – Liturgie der nestorianischen Geistlichen sorgte.

Den erzählerischen Höhepunkt seiner Geschichte bildet eine Religionsdebatte zwischen Moslems, Christen und Buddhisten am Hof Möngke Khans. Der Herrscher selbst hatte das Gespräch veranlasst und die in Karakorum anwesenden Geistlichen zur Teilnahme aufgefordert. Auf diese Weise wollte er herausfinden, welche Religion die überlegene sei. Zunächst mussten die Teilnehmer schriftliche Bekenntnisse und Erläuterungen einreichen. Rubruk und die nestorianischen Christen erstellten daraufhin gemeinsam eine Chronik von der Erschaffung der Welt bis zur Auferstehung und dem jüngsten Gericht. Außerdem schrieben sie das christliche Glaubensbekenntnis nieder und vereinbarten ein gemeinsames Vorgehen in dem Glaubensgespräch.

Wilhelm von Rubruk ist die einzige Quelle, die über den Verlauf der Diskussion berichtet. Obendrein wurde er durch Kultur- und Sprachbarrieren behindert. Er selbst sah die Christen natürlich im Recht und unterstreicht auch seinen eigenen Anteil am souveränen Auftritt der christlichen Partei. Dennoch stellt er abschließend fest, dass – trotz aller argumentativer Überlegenheit – sich keiner der Anwesenden zum Christentum bekehrte. Stattdessen endete der Disput in einem allgemeinen Trinkgelage.

Am Tag darauf rief Möngke Khan den Franziskanermönch ein letztes Mal zu sich. Bei dieser Gelegenheit war Rubruks buddhistischer Diskussionspartner vom Vortag ebenfalls anwesend. Beiden Geistlichen legte der Herrscher nun seine Glaubensauffassung dar: In den Augen der Mongolen gäbe es nur einen, universalen Gott. Dieser habe den Menschen jedoch verschiedene Wege zum Heil gegeben. Nach diesem Bekenntnis teilte Möngke dem Missionar mit, dass er nach Hause zurückkehren müsse. Rubruk erklärte sich bereit einen Brief Möngkes an König Ludwig von Frankreich mitzunehmen. Der Brief enthielt erneut eine Aufforderung zur Unterwerfung unter die gottgewollte Oberherrschaft des Khans.

Rückreise nach Westen

Im Juli 1254 trat Rubruk die Rückreise an. Sie führte ihn auf einer nördlicheren Route durch Zentralasien in die Wolgaregion, wo er erneut Sartach und Batu Khan aufsuchte. Anschließend reiste er entlang der Wolga nach Süden, durchquerte den Kaukasus und Anatolien, um zuletzt nach Zypern überzusetzen. Rubruk erreichte Nikosia am 16. Juni 1255 und musste auf Anordnung seines Ordens direkt nach Antiochia weiterreisen. Er nahm an einer Versammlung des Ordenskapitels in Tripoli teil und wurde schließlich für Lehraufgaben nach Akkon geschickt.

Auch auf seiner Heimreise beobachtete er aufmerksam zahlreiche Details. Er berichtet über die religiösen Verhältnisse, über die spärliche Rüstung und Waffenausstattung und zugleich hohe Genügsamkeit mongolischer Truppen sowie geographische und historische Besonderheiten.

Der ganze Text ist dem Adressaten des Berichts gewidmet: König Ludwig IX. von Frankreich. Er hatte Rubruk befohlen, alles was er sähe schriftlich zu berichten. Nach seiner Rückkehr bat der Mönch den König darum, dass er ihn in Frankreich besuchen dürfte. Diese Bitte scheint erfolgreich gewesen zu sein. Ein letzter Hinweis auf Rubruk findet sich bei Roger Bacon, der ihn in Frankreich getroffen und zu seinem Bericht befragt hat. Diese Begegnung hat wahrscheinlich um 1257 stattgefunden. Danach versiegen die Quellen zu Rubruks Person.

Der Reisebericht des Wilhelm von Rubruk ist bis heute lesenswert und eine wichtige Quelle zur mittelalterlichen Mongolei. Er enthält nicht nur die einzige detaillierte Beschreibung Karakorums, sondern überlieferte viele Hinweise zu Religion, Sitten und Gebräuchen der Mongolen. Zwar hat er vieles was er beobachtete oder ihm übersetzt wurde falsch oder missverstanden, doch die besondere Bedeutung liegt darin, dass er seine Beobachtungen überhaupt aufgeschrieben hat. Für die Mongolen und ihre Nachbarvölker waren diese Dinge alltäglich und nicht wert aufgeschrieben zu werden. Nur die Neugier des weit gereisten Missionars hat viele Einzelheiten für die Nachwelt bewahrt.