Bild, das die Landschaft zeigt
Weite Landschaft im Orchontal © H. Rohland / DAI

Das Orchontal

Das Orchontal ist aufgrund seiner welthistorischen Bedeutung und seiner reichen Kulturlandschaft UNESCO-Weltkulturerbe. Seit Jahrtausenden ist es die Heimat von Nomaden und war immer wieder das Zentrum großer Reiche, von denen die Geschichte des eurasischen Kontinentes entscheidend mitgeprägt wurde.

Einzigartige Kulturlandschaft

Hier befanden sich die Städte Karabalgasun und Karakorum, die zu ihrer Zeit wichtige, internationale Metropolen waren. Seit über 20 Jahren arbeiten mongolische und deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam daran, die Geschichte dieser Kulturlandschaft zu erforschen und ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Ein Blick über das Orchontal

Naturräumliche Voraussetzungen

Karakorum und das Orchontal liegen am Rand des Changaj-Gebirges im Zentrum des heutigen mongolischen Staates. Das Orchontal ist geologisch vielfältig. Gesteine aus dem Paläozoikum, vor etwa 570 bis 225 Millionen Jahren, wurden durch tektonische Vorgänge gebrochen und zu einem Gebirge gehoben und gefaltet. Während des Pleistozäns, dem Eiszeitalter, wurde die Landschaft durch vom Gebirge ausgehende Vergletscherung und das Abschmelzen der Gletscher, aber auch durch Vulkanismus weiter geformt. Besonders das obere Orchontal zeigt eindrucksvolle Formationen aus schwarzem Basalt, die auf diese Phase zurückzuführen sind. Auch der Name Kara-Korum geht vermutlich auf alttürkisch und mongolisch „qar“ – schwarz und „qorum“ – Geröll, Stein, zurück. Seit dem Ende der Eiszeit wird die Landschaft von Klimaveränderungen und der Erosion durch die Elemente geprägt.

In den letzten etwa 11.500 Jahren wechselten sich Phasen feuchteren Klimas mit ausgedehnten Wäldern und trockenere Phasen mit einer Ausbreitung der Steppengebiete ab.

Weidende Schafherde auf dem Gelände der alten uighurischen Haupstadt Karabalgasun © H. Wittersheim / DAI

Das Orchontal

Der Orchon und seine Nebenflüsse mäandrieren durch diese Landschaft, verändern ständig ihren Lauf und lagern dabei Material aus den oberen Regionen des Gebirges ab. So bildeten sich in der Umgebung von Karakorum im Laufe der Zeit fruchtbare Auenböden, die erfolgreich für die Landwirtschaft genutzt werden konnten und bis heute genutzt werden. Zur Zeit des Mongolenreiches, im 13. Jahrhundert, war die Landschaft wahrscheinlich klimatisch deutlich feuchter und stärker bewaldet als heute. Im Tal des Orchon befand sich ein Auwald mit typischen Bäumen wie Ulmen und Weiden. Auch auf den benachbarten Höhenzügen des Changaj dürfte ein dichterer Lärchenwald als heute gestanden haben. Die Errichtung einer Stadt und der damit verbundene enorme Bedarf an Bau- und Feuerungsmaterial führte schon damals zu einer starken Reduzierung der Waldflächen.

Grundvoraussetzungen

Sicherlich waren es auch die fruchtbaren Böden und Weiden des Orchontales, die zu der Entscheidung führten, genau hier das Zentrum des Reiches zu errichten. Es gab genügend Weideflächen und ausreichend Wasser, um große Herden zu versammeln. Damit war eine der Grundvoraussetzungen erfüllt, um in einem Nomadenreich politische Veranstaltungen wie Adelsversammlungen oder die Vorbereitung von Feldzügen durchzuführen. Darüber hinaus war durch die fruchtbaren Weiden die dauerhafte Versorgung der Stadtbevölkerung mit Fleisch und Fett gewährleistet. Jahresringdaten belegen, dass gerade zur Zeit der Ausbreitung des Mongolenreiches und der Gründung von Karakorum klimatisch günstige Bedingungen mit relativ hohen Temperaturen bei ebenfalls hohen Niederschlägen die Region begünstigten und so ideale Voraussetzungen für die Stadtgründung schufen.

Erste Besiedlung bis zur Eisenzeit

Die Geschichte dieses welthistorischen Platzes beginnt jedoch nicht erst im Jahr 1220. Die Wahl des weiten Tales des Orchon als Ort der mongolischen Hauptstadt geht vielmehr auf eine jahrtausendelange Vorgeschichte zurück. Schon altsteinzeitliche Jäger suchten das Tal auf. Auf einer Flussterrasse nur vier Kilometer nordwestlich des Klosters Erdene Zuu, am Eingang des Tales „Moiltyn am“ befindet sich eine außergewöhnliche steinzeitliche Fundstelle. Von diesem Platz aus kann man in das weite Orchontal blicken, befindet sich aber noch im Schutz der Vorgebirge. Diese günstige Lage, aber auch die Verfügbarkeit hochwertiger steinerner Werkstoffe, führte dazu, dass dieser Ort durch viele Jahrtausende immer wieder von Menschen aufgesucht und bewohnt wurde. Bereits 1949 entdeckte eine mongolisch-sowjetische Expedition hier Steinwerkzeuge verschiedener Epochen. In den Jahren 1960 bis 1965 wurden mehrere Tausend Steinwerkzeuge aus der jüngeren Altsteinzeit (ca. 40.000 bis 15.000 v. u. Z.) sowie der Mittel- (15.000 bis 8.000 v. u. Z.) und Jungsteinzeit (8.000 bis 3.000 v. u. Z.) gefunden, darunter Äxte, Messer, Klingen, Schaber, Ahlen und Pfeilspitzen. Zahllose Steinabschläge zeugen von der Herstellung dieser Werkzeuge an diesem Ort. Etwas weiter flussaufwärts fanden Archäologen einer mongolisch-sowjetischen Expedition 1986 eine zweite Fundstelle der mittleren und späten Altsteinzeit, die unter dem Namen Orchon-7 bekannt wurde.

Untersuchungen von Pflanzenresten aus den ausgegrabenen Schichten konnten zeigen, dass das Klima der Region in dieser Zeit feuchter und milder war, wodurch eine große Artenvielfalt an Gräsern sowie Laubwälder in den Tälern bestanden. Seit 2018 forscht eine russisch-mongolische Expedition vor Ort. Seit der späten Bronze- (1400 – 750 v. u. Z.) und frühen Eisenzeit (750 – 250 v. u. Z.) siedelten nomadisch wirtschaftende Menschen im Gebiet der heutigen Mongolei. Sie lebten von Viehzucht und Jagd, aber auch von Handel und spezialisiertem Handwerk. Um die Ressourcen, welche die Steppe bot, effi zient nutzen zu können, mussten die Menschen große Strecken zurücklegen. Das Vieh musste regelmäßig auf frischen Weiden und zu geeigneten Wasserquellen getrieben werden, um eine zu schnelle Erschöpfung der natürlichen Ressourcen zu verhindern. Bei der Lösung dieses Problems half eine der vielleicht bedeutendsten Innovationen in der Menschheitsgeschichte: das Reiten. Die Fortbewegung auf dem Pferderücken machte die Menschen mobil und erlaubte ihnen eine völlig neue Art der Weidewirtschaft, ermöglichte neue Jagdtechniken sowie Kommunikation über weite Entfernungen. Es entstand die Kultur des berittenen Hirtentums oder des Reiternomadismus, wie sie teilweise bis heute in der Mongolei gelebt wird.

Grabanlagen

Von der Zeit der frühen Nomaden in der Mongolei zeugen noch heute viele Denkmäler entlang des Orchontales. Insbesondere am Oberlauf des Orchon sind unzählige Gräber, Hirschsteine und andere Denkmäler der Bronze- und Eisenzeit zu sehen.

Hier sind zum Beispiel zahlreiche sogenannte „Khirigsuur“ zu finden. Dabei handelt es sich um monumentale Grabanlagen, die meist einen Steinhügel in der Mitte aufweisen, der von einer runden oder viereckigen Einfriedung umgeben ist. Dazu können viele weitere Strukturen kommen wie zum Beispiel kleine, runde Steinsetzungen. Diese Steinsetzungen werden von einigen Archäologen als Opfergaben interpretiert, sie enthalten oftmals Tierknochen oder auch Bronzeartefakte. Um manche große Khirigsuurs finden sich Hunderte dieser kleinen Steinhaufen. Diese Anlagen sind Zeugen eines tief greifenden Wandels der bronzezeitlichen Gesellschaft: In den älteren Epochen kommen solche prominenten Grabanlagen kaum vor. Der große Arbeitsaufwand, der mit ihrer Errichtung verbunden war, und der Umstand, dass sie teilweise über lange Zeit, vielleicht über Jahrhunderte, aufgesucht und verehrt wurden, weisen darauf hin, dass in dieser Zeit einzelne Personen sehr viel Macht und Prestige anhäufen konnten, die Gesellschaft also zunehmend hierarchisch gegliedert war.

Hirschsteine

Eine weitere faszinierende Denkmalgattung der späten Bronze- und frühen Eisenzeit sind die sogenannten Hirschsteine. Dabei handelt es sich um ursprünglich aufrechtstehende Steinstelen, die stark stilisierte Menschen bzw. Krieger darstellen. Oft sind Details wie Kopf, Torso und Gürtel mit Waffen in abstrakter Weise dargestellt. Das charakteristischste Merkmal sind allerdings die Reihen meist diagonal nach oben springender, stilisierter Hirsche im Bereich des Torsos. Die genaue Funktion dieser Steine ist nicht klar. Oftmals sind auch bei den Hirschsteinen kleine Gruben oder Steinsetzungen mit Opfergaben anzutreffen. Da es sich offensichtlich um die Darstellung von Kriegern handelt, könnten sie ebenfalls Gedenksteine oder Wächterfiguren gewesen sein. Diese Denkmäler sind in einem großen geografischen Raum von der Mongolei über Xinjiang und Kasachstan bis in das Schwarzmeergebiet verbreitet. Damit bezeugen sie den weitreichenden kulturellen Austausch, den die berittenen Nomaden schon im 1. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung pflegten. Einige Beispiele lassen sich am Friedhof „Temeen Chuluu“ im oberen Orchontal betrachten.

Plattengräber

Die dritte charakteristische Hinterlassenschaft der frühen Reiternomaden sind die sogenannten Plattengräber. Die Plattengräber waren mit einer rechteckigen Einfriedung aus aufrecht stehenden Steinen errichtet, in deren Innerem sich als Boden eine dichte Lage an Steinen befindet. Es existieren sowohl kleine Exemplare von etwa zwei bis drei Metern Seitenlänge, aber auch monumentale Anlagen mit bis zu mehr als zehn Metern. Die Monumente dieser Zeit zeugen von der gesellschaftlichen Differenzierung, die mit der Entwicklung des Pastoralnomadismus und der Einführung der Metallurgie einherging. Spuren dieser spannenden Epoche sind in der Umgebung von Karakorum überall in der Landschaft verstreut zu entdecken. Bronzezeitliche Grabanlagen finden sich in besonderer Dichte am Oberlauf des Orchon, insbesondere im Chujirt- und Bat-Ölzij Sum. Aber auch im mittleren Orchontal, entlang der Straße nach Khotont kann der aufmerksame Beobachter aus Stein aufgeschichtete Grabmäler dieser Epoche finden.

Das Orchontal als Wiege der Nomadenreiche

Das erste historisch überlieferte Reich, das von den Reiternomaden der mongolischen Steppe errichtet wurde, ist das der asiatischen Hunnen oder Xiongnu. Das meiste, was wir heute über sie wissen, verdanken wir den Aufzeichnungen chinesischer Chronisten. China, das zu dieser Zeit unter der Han-Dynastie zum ersten Mal ein einheitliches Staatsgebilde darstellte, pflegte enge und vielfältige Beziehungen zum Reich der Xiongnu. Einerseits waren die Steppenvölker wichtige Handelspartner für den Erwerb von Luxusgütern wie Pelzen aus dem Norden, zudem lieferten sie die Pferde für den Aufbau einer schlagkräftigen Kavallerie und waren Abnehmer von landwirtschaftlichen Produkten und Luxuswaren wie Seide aus China. Andererseits waren sie eine ernst zu nehmende militärische Bedrohung, was sich immer wieder in Überfällen auf grenznahe Garnisonen und Städte sowie entsprechende Vergeltungsfeldzüge äußerte. Trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit waren die Reiter aus der Steppe den schwerfälligen chinesischen Infanterie-Aufgeboten ein gefährlicher Gegner. Schließlich waren sie von Kindheit an geübt im Reiten und in der Jagd mit dem Bogen. Diese taktische Überlegenheit versetzte den Herrscher der Xiongnu, den Shan-yu, zeitweise in die Lage, das Reich der Han in eine regelrechte Tributabhängigkeit zu bringen. Diese intensiven Beziehungen veranlassten chinesische Gelehrte zur Beschäftigung mit ihren Nachbarn, den „nördlichen Barbaren“. Die bedeutendste chinesische Quelle zu den Xiongnu ist das Shiji des Sima Qian. Dieses Geschichtswerk enthält nicht nur Informationen zur Geschichte, sondern auch zu den Sitten, Traditionen, zur Lebens- und Wirtschaftsweise sowie zu den militärischen Fertigkeiten der Xiongnu. Seine Ausführungen sind charakteristisch für die Sicht sesshafter Kulturen auf die Nomaden der Steppe:

Logo Orchontal

„Ihr Viehbestand setzt sich größtenteils aus Pferden, Rindern, und Schafen zusammen. […] Wasser und Pflanzen suchend, wandern sie hin und her. Sie haben keine ummauerten Städte oder festen Wohnorte, noch treiben sie Ackerbau, aber dennoch besitzt jeder einen Teil des Bodens.”

Sima Qian: Shiji, Übersetzung: de Groot. Die Hunnen der vorchristlichen Zeit, Berlin Leipzig 1921

Frühe Nomadenreiche

Das Reich der Xiongnu bestand etwa von 209 v. u. Z. bis 93 u. Z. Nach dem Ende des Hunnenreiches beherrschten immer wieder mächtige Reiche, wie das der Xianbei im 2. und 3. Jahrhundert und der Rouran im 4. bis 6. Jahrhundert, die Steppe. Wir wissen nicht genau welche Rolle die Landschaft des Orchontales für diese frühen Nomadenreiche spielte.

Der österreichische Sinologe Arthur von Rosthorn hat in einem Beitrag schon 1924 darauf hingewiesen, dass in der Region zwischen Changaj- und Sajangebirge, an den Flüssen Orchon und Tuul, die Rückzugsgebiete und Kraftzentren der Nomadenreiche lagen. Er leitete diese Erkenntnis aus chinesischen Berichten über Feldzüge in die Region ab. Chinesische Feldherren, welche die Xiongnu besiegen wollten, marschierten genau in diese Region ein. Also müsse sich hier das Hauptlager des hunnischen Herrschers befunden haben.

Die Alttürkischen Reiche

Gesicherte Nachrichten über eine besondere Bedeutung der Landschaft am Orchon erreichen uns erst aus dem frühen Mittelalter, der Zeit der alttürkischen oder Gök-türkischen Reiche, die sich seit der Mitte des 6. Jahrhunderts unter der Führung ihrer Herrscher aus dem Ashina-Clan auf dem Gebiet der heutigen Mongolei etablierten. Nach der Aufspaltung des Reiches der Türk in eine Ost- und eine Westhälfte erlangte vor allem das osttürkische Reich eine politische Vormachtstellung. Sein Zentrum war der „Ötukan“, die Region nahe des Changaj-Gebirges, dem eine besondere religiöse und gesellschaftliche Bedeutung zugesprochen wurde. Das erste türkische Reich geriet nach diversen politischen Wirren in der Mitte des 7. Jahrhunderts unter Kontrolle des chinesischen Staates. Am Ende des 7. Jahrhunderts gelang es jedoch Kutlug, einem Herrscher aus dem Ashina-Clan, sich wieder von China zu lösen und das zweite türkische Reich in seinen alten Grenzen zu begründen. Zahlreiche figurale Steinstelen als Zeugen der Zeit der türkischen Reiche sind bis heute im Orchontal erhalten. In der Mitte des 8. Jahrhunderts führten innere Streitigkeiten und eine massive Bedrohung von außen, nach einer letzten Phase der Stärkung unter der Herrschaft von Köl Tegin und Bilgä Khagan, schließlich zum endgültigen Zerfall des Reiches. Auch für das osttürkische Reich war die Beziehung zu China von besonderer Bedeutung. Ähnlich wie bei den Vorgängerstaaten wechselten sich in der Zeit der alttürkischen Reiche kriegerische Auseinandersetzungen mit engen Tausch- und Handelsbeziehungen ab. Der Austausch von Gesandten sowie Heiratsbeziehungen und rege diplomatische Verbindungen spiegeln die oftmals symbiotischen Abhängigkeiten wider.

Köl Tegin Stele

Aus dieser Epoche sind nicht nur chinesische, zentralasiatische und sogar byzantinische Schriftquellen überliefert, die ja stets eine Außensicht auf ein fremdes Volk darstellen. Stattdessen liegen für die Zeit der Alttürken erstmals eigenständige Schriftquellen vor, die die eigene Sicht der Steppennomaden auf die politischen und historischen Vorgänge zeigen. Die wichtigsten alttürkischen Textdokumente sind große Steinstelen mit ausführlichen Inschriften. Sie wurden zum Gedenken an Herrscher und hohe Würdenträger errichtet. Diese Inschriftensteine berichten meist nicht nur von den Taten des Herrschers oder Würdenträgers, sondern enthalten auch geschichtliche Abhandlungen und politische Ratschläge an die Nachwelt. Sie ermöglichen uns interessante Einblicke in das politische und ideologische Innenleben eines großen Nomadenreiches. Die herausgehobene Bedeutung der Orchon-Region wird gleich auf mehreren dieser Stelen hervorgehoben. Auf der bis heute erhaltenen Inschriften-Stele des Köl Tegin im turkzeitlichen Memorialkomplex Khöshöö Tsaidam heißt es in alttürkischer Runenschrift:

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„Wenn du im Lande des Ötukan bleibst und Karawanen von hier aussendest, wirst du keine Schwierigkeiten haben, (Türkisches Volk!), wenn du in den Ötükän-Bergen bleibst, wirst du ewig leben und die Stämme beherrschen!“

Inschrift auf der Grabstele des Köl Tegin, Übersetzung nach Scharlipp, Wolfgang Ekkehard (1992): Die frühen Türken in Zentralasien: Eine Einführung in ihre Geschichte und Kultur. Darmstadt.

Gedenkstein Tonjukuk

Auf dem ebenfalls erhaltenen Gedenkstein des Tonjukuk, eines herausragenden Staatsmannes des zweiten alttürkischen Reiches, nahe der modernen Hauptstadt Ulaanbaatar, ist zu lesen: „Als sie die Nachricht hörten, dass sich die Türk im Lande des Ötükän niedergelassen hatten, kamen alle Völker, die im Süden, im Westen, im Norden und im Osten lebten.“
(Übersetzung nach Scharlipp, Wolfgang Ekkehard. Die frühen Türken in Zentralasien: Eine Einführung in ihre Geschichte und Kultur. Darmstadt 1992, 35)

Aus diesen Texten geht die besondere Bedeutung der Region des Orchontales deutlich hervor. Es wurde als eine Art heiliges Kernland, als unverzichtbares Zentrum eines Reiches in der Steppe betrachtet.

Das Reich der Uighuren

Als das zweite alttürkische Reich im Jahr 740 endete, übernahmen die Uiguren die Herrschaft an den Ufern des Orchon. Auch dieses Turkvolk errichtete ein Steppenreich, das sich weit über die Grenzen der heutigen Mongolei hinaus erstreckte. Im Tal des Orchon entstand erstmals eine große Stadtanlage, die als regelrechte Hauptstadt diente. Mit dieser Stadt wurde erstmals eine große Stadtanlage mit zahlreichen Gebäuden, darunter Tempel und Paläste, in der Steppe am Orchon errichtet. Die Uiguren nannten die Stadt „Ordu Baliq“, die Stadt des Heerlagers, heute ist sie unter dem Namen Karabalgasun bekannt. 

Das Reich der Kitan

Die Kitan werden in chinesischen Quellen erstmals im Jahr 406 erwähnt. Sie sprachen vermutlich eine Vorform der mongolischen Sprache und waren aus einer Abspaltung der Xianbei-Stammesförderation hervorgegangen. Ihre Heimat war die Ostseite des Hinggan-Gebirges, östlich der Grenze zwischen dem heutigen mongolischen Staat und der Inneren Mongolei. Nachdem Fall des Reichs der Uiguren im Jahr 840 und dem Niedergang der chinesischen Tang-Dynastie war ein Machtvakuum in Ostasien entstanden. So konnten die Kitan unter ihrem Herrscher Yelü Abaoji schnell ein großes Reich aufbauen. Ab dem Jahr 907 etablierte er eine Dynastie und legte sich den Namen Taizu bei. Mit einer Hauptstadt nach chinesischem Vorbild, demonstrierte er seinen Herrschaftsanspruch. Das Reich der Kitan beherrschte neben seinen Kerngebieten Teile Nordchinas und der Mongolei. Im Jahr 924 unternahm Yelü Abaoji einen Feldzug in die Mongolei und suchte dabei auch Karabalgasun auf und befahl eine hier stehende Inschriftenstele neu zu beschriften. Dies zeigt, dass auch die Kitan Herrscher eine herausragende Bedeutung in diesem Ort sahen und ihn in ihre politischen und symbolischen Handlungen einbezogen. Dennoch war das Orchontal in dieser Zeit wohl kein Zentrum dieses Reiches. Archäologische Spuren aus dieser Epoche sind dementsprechend selten. Jedoch wurde bei den Grabungen in Karabalgasun auch Reste gefunden, die möglicherweise auf eine Nutzung des Ortes in der Kitan-Zeit hindeuten. 

Das Reich der Mongolen

Den Herrschern des Mongolenreiches war die historische und symbolische Bedeutung des Orchontals zweifellos bekannt. Es war ganz sicher kein Zufall, dass sie im Jahr 1220 mit [[Karakorum]] eines ihrer Hauptlager und die wichtigste Stadt des jungen Reiches genau hier gründeten. In dieser Zeit erreichte das Orchontal den Gipfel seiner Welthistorischen Bedeutung, wurde es mit Karakorum doch zum Zentrum eines Reiches, das den Großteil der damals bekannten Welt umfasste. Die altmongolische Hauptstadt wurde ein Anziehungspunkt für Gesandtschaften und Händler aus aller Welt und Ausgangspunkt großer militärischer Feldzüge. Auf die gänzliche Eroberung Chinas und die Gründung der Yuan-Dynastie folgte durch Kubilai Khan folgte die Verlegung der Hauptstadt nach Dadu, das heutige Peking. Dennoch blieb Karakorum ein wichtiges, Zentrum an dem das Andenken an den Ursprung der mongolischen Yuan-Dynastie gepflegt wurde. Nach dem Ende der Herrschaft über China 1368 wurde Karakorum noch einmal Zentrum der Dynastie, die sich in die mongolischen Stammlande zurückgezog. Neben der Ruine von Karakorum befinden sich zahlreiche weitere archäologische Fundstätten aus der Zeit des Mongolenreiches im Tal des Orchon. So befindet sich weiter nördlich die Ruine Doytijn Balgas. Hierbei handelt es sich um eine aus den Schriftquellen bekannte Residenz Ögedej Khans, die wohl von Handwerkern aus dem muslimischen Zentralasien errichtet wurde. In Friedenszeiten pflegten die monoglischen Herrscher hier den Sommer zu verbringen und der Beizjagd auf die Wasservögel der umgebenden Seen nachzugehen.

Die Neuzeit

Nach dem Ende der Yuan-Dynastie blieb das Orchontal ein spirituelles Zentrum der Mongolei. Auf den Ruinen der alten Hauptstadt wurde 1585 durch Abtai Sain Khan das Kloster Erdene zuu errichtet. Es ist das älteste, erhaltene buddhistische Kloster der äußeren Mongolei und Zentrum der Verbreitung der buddhistischen Lehre unter den Mongolen.

Im Jahre 1939 wurde das Kloster im Rahmen von politischen Verfolgungen stark zerstört. Die Haupttempel blieben dennoch erhalten und zeugen bis heute von der Jahrtausendelangen Geschichte des Orchontales als spirituelles Zentrum der Nomadenstaaten der mongolischen Hochebene.