Bild, das Landschaft zeigt
Blick über Karabalgasun © / DAI Foto H. Rohland

Tempel- und Palaststadt von Karabalgasun

Der prominenteste Bereich von Karabalgasun ist wohl die Tempel- oder Palaststadt, deren hoch aufragende Mauern bis heute weithin in der Landschaft sichtbar sind. Mit einer Fläche von 390 x 460 m hat sie eine beachtliche Größe.

Die Umfassungsmauer

Die Mauerreste der Umfassungsmauer sind bis heute bis zu 10 m hoch erhalten und auf nahezu allen Seiten noch sehr gut sichtbar. Trotz der Verwitterung und Erosion ist ihre Bautechnik noch deutlich erkennbar. Nach chinesischem Vorbild sind die Mauern als Stampflehmkonstruktion (Terre Pisé/Hangtu 夯土) errichtet, die in regelmäßigen Abständen von diagonal verlaufenden waagerechten Ankerhölzern mit wechselnder Ausrichtung stabilisiert werden. In sichtbaren und stärker der Witterung ausgesetzten Bereichen sind heute nur noch Hohlräume erhalten, die Hölzer sind vergangen. Die Mauern verjüngen sich nach oben und haben im Bereich des Mauerfußes eine Stärke von bis zu 35 m. Bastionsartige Erweiterungen im Abstand von jeweils ca. 100 m stabilisieren die Konstruktion zusätzlich und verleihen ihr nach außen einen bis heute überaus wehrhaften Charakter.

Die Tempel- und Palaststadt

Das große Geviert der Tempel-/Palaststadt wird sowohl an der Ost- als auch an der Westseite durch einen Annex erweitert. Während der westliche Annex deutlich schmaler ist und keinen erkennbaren Zugang vom Stadtbereich aus hat, erstreckt sich der östliche Annex in mit HB2 identischer Breite auf einer Länge von 240 m nach Osten. Seine Mauern sind flacher erhalten als die der Palaststadt, aber immer noch deutlich im Gelände erkennbar. Sein Inneres gliedert sich in einen breiten, freien platzartigen Bereich, der auf das einzige Tor von HB2 zuführt. Südlich und nördlich davon liegen zwei, in insgesamt 12-14 Abschnitte gegliederte Bereiche. Da an dieser Stelle bislang keine Grabungen stattgefunden haben, können über Bebauung und Funktion lediglich Vermutungen angestellt werden. Der russische Forscher Sergej Kiselev vermutete in diesen Strukturen Gärten. Denkbar ist jedoch auch eine Funktion als Wirtschaftsbereich für die Hauptanalage. 

Das Innere der sogenannten Tempel-/Palaststadt wiederum ist vor allem durch zwei markante Bauten geprägt. In der westlichen Hälfte auf der zentralen Ost-Westachse erhebt sich eine – heute als Stupa bezeichnete – turmartige Stampflehmkonstruktion, deren ursprüngliche Funktion bislang nicht geklärt wurde. Unmittelbar östlich des sogenannten Stupas liegen zwei weitere Hügel, die aufgrund der Grabungsergebnisse als Tempelbauten interpretiert werden können.

Bild, das Landschaft zeigt. In der Bildmitte sind die Ruinen einer rechteckigen Lehmmauer zu erkennen.
Blick über die Überreste der alten uighurischen Hauptstadt Karabalgasun © M.Riemer / DAI

Die Binnenbebauung

In der südöstlichen Ecke der großen Wallanlage befindet sich die sogenannte Zitadelle. Sie ist nochmals durch höhere Mauern vom Rest der Anlage abgegrenzt und umfasst einen annähernd quadratischen, erhöhten Innenbereich. Zahlreiche weitere Binnenmauern gliedern das Innere der Tempel-/Palaststadt in regelmäßige Bereiche und lassen auch hier eine Bebauung vermuten. Eine Grabung im südöstlichen Innenbereich der Tempel- und Palaststadt im Jahr 2023 lieferte erstmalig genauere Informationen zur Art der Bebauung. Große Flächen von Kalkestrichen, die durch rechtwinklig zueinanderstehende Mauern unterteilt wurden, können eindeutig als Spuren vergangener Bauten interpretiert werden. Die Mauern waren nur noch in ihren untersten Bereichen erhalten und ursprünglich aus ungebrannten Lehmziegeln gesetzt, die wiederum mit noch bis zu 25 cm hoch erhaltenem Wandverputz verkleidet waren. Lediglich in einer Ecke war die Mauer durch gebrannte Ziegel verstärkt und dadurch besser erhalten. Die Wände selbst hatten keine tragende Funktion, vielmehr wurde das Dach von auf steinernen Basen stehenden Holzständern getragen. Diese Säulenbasen waren aus Granit gefertigt, annähernd quadratisch, und lagen unterhalb des teilweise darüber laufenden Estrichs. Von der aufgehenden Holzkonstruktion hatten sich nur geringe Holzkohlereste erhalten. Zwei Säulenbasen konnten unterhalb der Wände freigelegt werden, zwei weitere wurden sondiert, aber nicht freigelegt. Eine davon lag in der Ecke der erfassten Mauer, eine weitere lag asymetrisch in der Ost-West-verlaufenden Wand mit Bezug zu einer sehr schmalen, nach Norden abzweigenden Zwischenwand. Die Holzständer waren in die Wände integriert und stützen diese, so dass sie einfach in Lehmziegeln errichtet werden konnten. In östlichen Bereich der Grabung war zwischen den Säulenbasen keine Wand erhalten, möglicherweise befand sich hier eine Türsituation.

Mögliche Nachnutzung in späterer Zeit

Zusammenfassend kann aufgrund dieses Grabungsbefundes also vermutet werden, dass entlang der Umfassungsmauer innerhalb der Tempel-/Palaststadt kasemattenartige Gebäude einfacher Konstruktion standen, die sicherlich unterschiedliche Funktionen erfüllten. 

Interessanterweise traten im nordwestlichen Bereich dieses Grabungsschnittes lose oberhalb der Zerstörungshorizonte angelegte Ziegelsetzungen zum Vorschein, die sich zu einer  teilweise kreisrunden Struktur ergänzen lassen. Möglicherweise wurde hier zu einem Zeitpunkt lange nach der Zerstörung der Gebäude ein nomadisches Winterlager im Schutz des Walles angelegt und der untere Rand der Jurte zur Wärmedämmung mit Ziegeln eingefasst. Ein solches Vorgehen ist in der Mongolei bis heute üblich. 

Abschließend lässt sich sagen, dass diese imposante Anlage der Tempel- und Palaststadt von Karabalgasun sicherlich zu Recht als Zentrum des uighurischen Qaganats bezeichnet werden kann.