Bild, das die Grabung zeigt
Blick über die Grabung der “Großen Halle” von Karakorum © H.Wittersheim / DAI

Die Große Halle

Der Fundplatz, den wir heute als die Große Halle bezeichnen, ist mit einigen der spannendsten Fundstücke und der intensivsten Kontroversen um das alte Karakorum verbunden. Er befindet sich an der südwestlichen Ecke der Stadt, wo sich ein großes Podest über die Umgebung erhebt.

Wo befand sich der Palast des Ögedei Khan?

Vor diesem Podest, das heute als Freilichtmuseum zugänglich ist, befindet sich noch immer eine große steinerne Schildkröte. In ihren Rückenpanzer war einst eine Inschriftenstele eingelassen, vermutlich die Inschrift von 1346. Ihre auf dem Stadtgelände verstreuten Teile hatten verschiedene Forscher seit dem 19. Jahrhundert zusammengetragen. Lange wurde die Frage diskutiert, wo genau sich der von Ögedei Khan errichtete Palast befunden habe. Rubruk schrieb:

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„Nicht weit von der Stadtmauer von Karakorum entfernt, besitzt Mangu [Möngke Khan, d. A.] einen großen Palast, der wie bei uns die Mönchsklöster von einer Ziegelmauer umgeben ist. Dort erhebt sich ein großes Schloss […]“

Rubruk, Wilhelm von. Reisen zum Großkhan der Mongolen: Von Konstantinopel nach Karkorum 1253-1255. Herausgegeben und übersetzt von Hans D. Leicht. Stuttgart: Erdmann, 1984.

Diese Textstelle schien genau auf den Komplex an der Südwestecke der Stadt zu passen. Er liegt am Rand der Stadt bei der Stadtmauer, war von einer Mauer umgeben und enthält in der Mitte ein großes Gebäude. Aufgrund dieser Übereinstimmung vermutete schon 1933 der erste in Karakorum tätige Archäologe, Dimtirij Demjanovič Bukinič, dass die Anlage im Südwestender Stadt Ögedeis Palast gewesen sein könnte. Später folgte ihm Kiselev in dieser Auffassung, obwohl er große Mengen von Terrakotten fand, die eher in einen buddhistischen Tempel als in einen Palast passten. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch blieb die Fachwelt davon überzeugt, dass es sich bei dieser Ruine um die Reste von Ögedeis Palast handeln musste. Erst die mongolisch-deutschen Forschungen seit dem Jahr 2000 warfen ein neues Licht auf die Überreste.

Bild, das eine Ausgrabungssituation zeigt. In der Ausgrabung sind granitene Säulenbasen und Reste von mit Ziegeln gepflasterten Fußböden zu sehen.
Blick über die Grabung der “Großen Halle” von Karakorum © H. Wittersheim/DAI

Die Ausgrabungen an der Großen Halle

Das Team des Deutschen Archäologischen Institutes unter der Leitung von Hans-Georg Hüttel begann im Jahr 2000 mit Ausgrabungen am mutmaßlichen Palastbezirk im Südwesten von Karakorum. Zunächst wurde ein Brennofenbezirk ausgegraben. Hier wurden Baumaterialien für die Errichtung eines oder mehrerer großer Gebäude hergestellt. Außerdem begannen die mongolischen und deutschen Archäologen, die noch sichtbaren Ausgrabungsschnitte der russischen Untersuchungen der 40er-Jahre am großen Zentralgebäude der Anlage wieder freizulegen. So konnten sie einen ersten Einblick in den Aufbau der archäologischen Erdschichten und die vorhandenen Baureste bekommen, ohne dafür die wertvolle, erhaltene Originalsubstanz anzutasten.

Panorama der Großen Halle

Ein mächtiges Fundament

Nach diesen ersten Erkundungen wurden in den Jahren 2001 bis 2005 die Reste des Bauwerkes fast komplett freigelegt. Dabei kam ein großes Podest zutage, das als Fundament eines beeindruckenden Bauwerks gedient hatte. Es war aus zahlreichen Schichten gestampften Lehms aufgebaut und hatte die Form eines Quadrates mit einer Seitenlänge von 42,5 Metern. Das Podest überragte die Umgebung um fast zwei Meter. In Richtung Süden schloss sich eine Verlängerung von 32,5 Metern Breite und 18 Metern Länge an. Teilweise waren die Stampflehmschichten um einen Meter in den Boden eingelassen, um so ein stabiles und massives Fundament für das darauf errichtete Gebäude zu bieten. Die Außenseiten des Podestes waren mit Blendmauern aus gebrannten Ziegeln verkleidet. Sie schützten die Lehmkonstruktion des Podestes vor Verwitterung und gaben ihm, zusammen mit einer weißen Kalktünche, ein ansprechendes Erscheinungsbild. An den Ecken war die Blendmauer durch behauene Granitblöcke verstärkt. 

Von drei Seiten führten Treppen auf das Podest. An der Nordseite führte anstatt einer Treppe ein erhöhter Gang auf ein benachbartes kleineres Podest. Auf diesem großen Podium wurde ein hallenartiges und mehrgeschossiges Gebäude errichtet, dessen Inneres mit acht mal acht hölzernen Säulen gegliedert war. Der Fußboden der Halle war mit teilweise farbig glasierten Kacheln gepflastert. Sie unterteilten das Gebäude sichtbar in zwei Bereiche: einen äußeren Umgang mit einfachen, grauen Platten und einen inneren Bereich mit grün glasierten Kacheln. Diese bildeten einen Umgang um den zentralen Bereich, der nicht gepflastert war. Die Ziegelplatten waren in einem interessanten Muster verlegt. Sowohl im inneren als auch im äußeren Bereich lagen sie parallel zu den Außenkanten des Podestes. Dieses umlaufende Muster wurde jedoch von diagonalen Wegen unterbrochen, die von den Ecken des Gebäudes zur Mitte hinführten. An jedem dieser vier Wege stand am Ende ein sogenannter Lotusthron. Diese runden Podeste mit stilisierten Lotusblütenblättern trugen einst überlebensgroße Darstellungen verschiedener Buddhas. Der nicht gepflasterte Bereich in der Mitte des Podestes war von den Resten einer Ziegelmauer umschlossen. In ihrem Inneren lagen Tausende sogenannte Tsatsas, aus Ton hergestellte buddhistische Votiv-Figuren.

Die Podestschichten sind deutlich erkennbar © M. Oehlert/DAI

Grundrissplan der Großen Halle und des Nebengebäudes

Grunrissplan des Gebäudes
Der Grundriss des Gebäudes zeigt die Anordnung der Säulenbasen und der verschiedenfarbig gepflasterten Fußbodenbereiche. © C. Franken/DAI

Segnung des Gebäudes durch Opfergaben

Im Zentrum des Gevierts, genau im gedachten Schnittpunkt der diagonalen Zugänge, entdeckten die Archäologen einen großen, grauen Tonkrug, der in seinem Inneren Getreidereste enthielt. Dieses Gefäß war wohl beim Bau als Opfergabe hier deponiert worden, um Segen und gutes Schicksal für das Gebäude herbeizuführen. Diese Opfergaben und Mauerreste waren wahrscheinlich die Reste eines großen Stupas, eines buddhistischen Kultmales, der hier als zentrales Heiligtum diente. Unterhalb der äußeren Ecken des Podiums und unter der östlichen und westlichen Treppe wurden ebenfalls deponierte Gefäße gefunden. In ihnen fanden sich neben einer größeren Menge Körnern der Rispenhirse jeweils in Tücher eingewickelt eine Sammlung von Opfergaben. Sie enthielten Münzen aus Gold und Silber, Korallen, Perlen, Türkise, Lapislazuli, Muscheln und Objekte aus Holz, Kupfer und Stahl. Diese bilden die Gruppe der sogenannten „Neun Schätze“, die bis heute in der Mongolei eine tiefe spirituelle Bedeutung besitzen und, eingenäht in kleine Säckchen, von manchen als Amulett getragen werden.

Große quaderförmige Granitblöcke mit mehr als einem Meter Seitenlänge waren an der Oberfläche in das Podium eingelassen. Sie dienten als Säulenbasen für die mächtigen hölzernen Ständer des mehrstöckigen Hallenbaus. Reste der hölzernen Säulenkonstruktionen waren an einigen Stellen erhalten. Ihr Durchmesser betrug 80 Zentimeter, um sie herum waren jeweils vier Holzständer mit etwa 20 Zentimeter Seitenlänge angeordnet, sodass ein ganzes Säulenbündel entstand. 

Insgesamt wurde das Bauwerk von 64 in regelmäßigen Abständen platzierten Säulen getragen. Von den Bauhölzern hatte sich kaum etwas erhalten. Nur einige verkohlte Reste zeigten noch die Standorte der Pfeiler an. Das Gebäude war also durch einen Brand zerstört worden. Darauf deuten neben den verbrannten Hölzern auch die mächtigen Schuttschichten hin, welche die Archäologen abtragen mussten. Sie enthielten viele Ziegel und Dachziegel, oftmals durch Brandeinwirkung deformiert und mit blasiger, glasartiger Oberfläche. Außerdem kamen bei den Ausgrabungen immer wieder Bruchstücke von Skulpturen, Wand und Dachschmuck ans Tageslicht. All diese Funde machen deutlich: Bei diesem Gebäude handelt es sich nicht um einen Palast im Sinne einer Residenz, sondern vielmehr um einen großen buddhistischen Tempel, wahrscheinlich sogar um den „Pavillon des Aufstiegs der Yuan Dynastie“, der auf der in Karakorum gefundenen Inschrift von 1346 verewigt ist.

Die Wiederauferstehung des “Palastes des Aufstiegs der Yuan”

Zusammen erlauben die gefundenen Reste – das Podest, die Säulenbasen, der gepflasterte Boden sowie die darauf liegenden Schuttschichten und das Fundmaterial – eine ungefähre Rekonstruktion des Gebäudes. Das Podest mit den regelmäßig angeordneten Säulenbasen und auch die Dachziegel und der Bauschmuck zeigen, dass hier nach dem Vorbild chinesischer Tempelanlagen gebaut wurde. Dabei kam die traditionelle chinesische Fachwerkbauweise zum Einsatz, die auch für die Errichtung sehr großer Tempel und Paläste geeignet war. Einzelne Funde belegen, dass die Konstruktion bemalt war. Auf einem roten Grund waren Dekorationen in grün, weiß und gelb aufgebracht. Das Dach des Gebäudes war reich mit glasierten Ziegeln geschmückt. Glücklicherweise überliefert auch die in Karakorum gefundene zweisprachige Inschrift von 1346 Details zur baulichen Ausstattung des großen Tempels von Karakorum. Im besser überlieferten chinesischen Text heißt es:

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„[…] Im Jahr bing cheng des Kalenderzyklus (1256) errichtete er [Möngke Khan] einen großen Stupa und umgab ihn mit einem hohen Pavillon. […] Der Pavillon hatte fünf Stockwerke. Er war 300 chi [etwa 90 m] hoch. Was das Erdgeschoss anbetrifft, so bildete jede Seite ein Raum von sieben Jochen Größe. Darin stellten Sie die Statuen verschiedener Buddhas auf, ganz im Einklang mit den Sutras.“

Übersetzt und gekürzt aus dem Englischen nach Cleaves, Francis. „The Sino-Mongolian inscription of 1346: In memoriam Wladyslai Kotwicz“. Harvard Journal of Asiatic Studies 15 (1952): 1 –123, 29

Die in der Inschrift überlieferte Datierung der Errichtung des Tempels auf die Regierungszeit Möngke Khans (1251–1260) wird auch durch das Fundmaterial bestätigt. Die jüngsten Münzen, die in den Gefäßen an den Ecken des Gebäudes deponiert waren, trugen sein Tamga, eine Art persönliches Siegel, das von den Brandzeichen der Herdentiere abgeleitet war. Die Münzen wurden um 1254 geprägt. Da die Gefäße mit den Münzen im Fundamentbereich eingegraben waren, kann der Tempel nicht eher errichtet worden sein. Für das Jahr 1311 überliefert die Inschrift, dass Buyantu Khan viel Geld in eine Renovierung des Tempels investierte. Im Jahr 1342 wurde unter Togoon Temür Khan nochmals eine aufwendige Renovierung vorgenommen:

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„[…] Um den Stupa malten sie Gold. Sein Glanz blendete das Auge. Was den Pavillon betrifft, innen und außen, oben und unten, in seiner ganzen Größe, in allen Drehungen und Windungen wie auch in seinen Schnitzereien, Lackierungen und Tünche, gab es nichts, das nicht fest und schön, fein und perfekt war. Sie verdoppelten dreifach seine Tore und umgaben ihn mit einer geschlossenen Mauer. Er war strahlend neu.“

Übersetzt und gekürzt aus dem Englischen nach Cleaves Francis. „The Sino-Mongolian inscription of 1346: In memoriam Wladyslai Kotwicz“. Harvard Journal of Asiatic Studies 15 (1952): 1 –123, 30

Bild das eine große Skulptur eine Schildkröte zeigt.
Die Schildkröte auf dem Stadtgelände von Karakorum diente einst als Postament für eine große Inschriften-Stele. © H. Wittersheim/DAI

Umgeben war das große Zentralgebäude von jeweils zwei kleineren Gebäuden auf der westlichen und östlichen Seite, einem kleinen Nordgebäude sowie einem Torhaus auf der Südseite. Das ganze Ensemble war nach außen geschlossen und von einer Mauer umgeben. Eines der westlichen Nebengebäude wurde ebenfalls archäologisch untersucht. Erhalten hatten sich vor allem dicke Fundamentlagen aus groben Flussgeröllsteinen, die vermutlich eine kombinierte Stampflehm-Holzkonstruktion trugen. Funde von Dachziegeln weisen auch hier eindeutig darauf hin, dass diese Gebäude ebenfalls in chinesischer Bautradition errichtet wurden.

Funde aus der Großen Halle im Fundkatalog