Die Große Halle
Der Fundplatz, den wir heute als die Große Halle bezeichnen, ist mit einigen der spannendsten Fundstücke und der intensivsten Kontroversen um das alte Karakorum verbunden. Er befindet sich an der südwestlichen Ecke der Stadt, wo sich ein großes Podest über die Umgebung erhebt.
Wo befand sich der Palast des Ögedei Khan?
Vor diesem Podest, das heute als Freilichtmuseum zugänglich ist, befindet sich noch immer eine große steinerne Schildkröte. In ihren Rückenpanzer war einst eine Inschriftenstele eingelassen, vermutlich die Inschrift von 1346. Ihre auf dem Stadtgelände verstreuten Teile hatten verschiedene Forscher seit dem 19. Jahrhundert zusammengetragen. Lange wurde die Frage diskutiert, wo genau sich der von Ögedei Khan errichtete Palast befunden habe. Rubruk schrieb:
„Nicht weit von der Stadtmauer von Karakorum entfernt, besitzt Mangu [Möngke Khan, d. A.] einen großen Palast, der wie bei uns die Mönchsklöster von einer Ziegelmauer umgeben ist. Dort erhebt sich ein großes Schloss […]“
Diese Textstelle schien genau auf den Komplex an der Südwestecke der Stadt zu passen. Er liegt am Rand der Stadt bei der Stadtmauer, war von einer Mauer umgeben und enthält in der Mitte ein großes Gebäude. Aufgrund dieser Übereinstimmung vermutete schon 1933 der erste in Karakorum tätige Archäologe, Dimtirij Demjanovič Bukinič, dass die Anlage im Südwestender Stadt Ögedeis Palast gewesen sein könnte. Später folgte ihm Kiselev in dieser Auffassung, obwohl er große Mengen von Terrakotten fand, die eher in einen buddhistischen Tempel als in einen Palast passten. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch blieb die Fachwelt davon überzeugt, dass es sich bei dieser Ruine um die Reste von Ögedeis Palast handeln musste. Erst die mongolisch-deutschen Forschungen seit dem Jahr 2000 warfen ein neues Licht auf die Überreste.
Die Ausgrabungen an der Großen Halle
Das Team des Deutschen Archäologischen Institutes unter der Leitung von Hans-Georg Hüttel begann im Jahr 2000 mit Ausgrabungen am mutmaßlichen Palastbezirk im Südwesten von Karakorum. Zunächst wurde ein Brennofenbezirk ausgegraben. Hier wurden Baumaterialien für die Errichtung eines oder mehrerer großer Gebäude hergestellt. Außerdem begannen die mongolischen und deutschen Archäologen, die noch sichtbaren Ausgrabungsschnitte der russischen Untersuchungen der 40er-Jahre am großen Zentralgebäude der Anlage wieder freizulegen. So konnten sie einen ersten Einblick in den Aufbau der archäologischen Erdschichten und die vorhandenen Baureste bekommen, ohne dafür die wertvolle, erhaltene Originalsubstanz anzutasten.
Panorama der Großen Halle
Grundrissplan der Großen Halle und des Nebengebäudes
Segnung des Gebäudes durch Opfergaben
Im Zentrum des Gevierts, genau im gedachten Schnittpunkt der diagonalen Zugänge, entdeckten die Archäologen einen großen, grauen Tonkrug, der in seinem Inneren Getreidereste enthielt. Dieses Gefäß war wohl beim Bau als Opfergabe hier deponiert worden, um Segen und gutes Schicksal für das Gebäude herbeizuführen. Diese Opfergaben und Mauerreste waren wahrscheinlich die Reste eines großen Stupas, eines buddhistischen Kultmales, der hier als zentrales Heiligtum diente. Unterhalb der äußeren Ecken des Podiums und unter der östlichen und westlichen Treppe wurden ebenfalls deponierte Gefäße gefunden. In ihnen fanden sich neben einer größeren Menge Körnern der Rispenhirse jeweils in Tücher eingewickelt eine Sammlung von Opfergaben. Sie enthielten Münzen aus Gold und Silber, Korallen, Perlen, Türkise, Lapislazuli, Muscheln und Objekte aus Holz, Kupfer und Stahl. Diese bilden die Gruppe der sogenannten „Neun Schätze“, die bis heute in der Mongolei eine tiefe spirituelle Bedeutung besitzen und, eingenäht in kleine Säckchen, von manchen als Amulett getragen werden.
Fundobjekte der Großen Halle
Große quaderförmige Granitblöcke mit mehr als einem Meter Seitenlänge waren an der Oberfläche in das Podium eingelassen. Sie dienten als Säulenbasen für die mächtigen hölzernen Ständer des mehrstöckigen Hallenbaus. Reste der hölzernen Säulenkonstruktionen waren an einigen Stellen erhalten. Ihr Durchmesser betrug 80 Zentimeter, um sie herum waren jeweils vier Holzständer mit etwa 20 Zentimeter Seitenlänge angeordnet, sodass ein ganzes Säulenbündel entstand.
Insgesamt wurde das Bauwerk von 64 in regelmäßigen Abständen platzierten Säulen getragen. Von den Bauhölzern hatte sich kaum etwas erhalten. Nur einige verkohlte Reste zeigten noch die Standorte der Pfeiler an. Das Gebäude war also durch einen Brand zerstört worden. Darauf deuten neben den verbrannten Hölzern auch die mächtigen Schuttschichten hin, welche die Archäologen abtragen mussten. Sie enthielten viele Ziegel und Dachziegel, oftmals durch Brandeinwirkung deformiert und mit blasiger, glasartiger Oberfläche. Außerdem kamen bei den Ausgrabungen immer wieder Bruchstücke von Skulpturen, Wand und Dachschmuck ans Tageslicht. All diese Funde machen deutlich: Bei diesem Gebäude handelt es sich nicht um einen Palast im Sinne einer Residenz, sondern vielmehr um einen großen buddhistischen Tempel, wahrscheinlich sogar um den „Pavillon des Aufstiegs der Yuan Dynastie“, der auf der in Karakorum gefundenen Inschrift von 1346 verewigt ist.
Die Wiederauferstehung des “Palastes des Aufstiegs der Yuan”
Zusammen erlauben die gefundenen Reste – das Podest, die Säulenbasen, der gepflasterte Boden sowie die darauf liegenden Schuttschichten und das Fundmaterial – eine ungefähre Rekonstruktion des Gebäudes. Das Podest mit den regelmäßig angeordneten Säulenbasen und auch die Dachziegel und der Bauschmuck zeigen, dass hier nach dem Vorbild chinesischer Tempelanlagen gebaut wurde. Dabei kam die traditionelle chinesische Fachwerkbauweise zum Einsatz, die auch für die Errichtung sehr großer Tempel und Paläste geeignet war. Einzelne Funde belegen, dass die Konstruktion bemalt war. Auf einem roten Grund waren Dekorationen in grün, weiß und gelb aufgebracht. Das Dach des Gebäudes war reich mit glasierten Ziegeln geschmückt. Glücklicherweise überliefert auch die in Karakorum gefundene zweisprachige Inschrift von 1346 Details zur baulichen Ausstattung des großen Tempels von Karakorum. Im besser überlieferten chinesischen Text heißt es:
„[…] Im Jahr bing cheng des Kalenderzyklus (1256) errichtete er [Möngke Khan] einen großen Stupa und umgab ihn mit einem hohen Pavillon. […] Der Pavillon hatte fünf Stockwerke. Er war 300 chi [etwa 90 m] hoch. Was das Erdgeschoss anbetrifft, so bildete jede Seite ein Raum von sieben Jochen Größe. Darin stellten Sie die Statuen verschiedener Buddhas auf, ganz im Einklang mit den Sutras.“
Die in der Inschrift überlieferte Datierung der Errichtung des Tempels auf die Regierungszeit Möngke Khans (1251–1260) wird auch durch das Fundmaterial bestätigt. Die jüngsten Münzen, die in den Gefäßen an den Ecken des Gebäudes deponiert waren, trugen sein Tamga, eine Art persönliches Siegel, das von den Brandzeichen der Herdentiere abgeleitet war. Die Münzen wurden um 1254 geprägt. Da die Gefäße mit den Münzen im Fundamentbereich eingegraben waren, kann der Tempel nicht eher errichtet worden sein. Für das Jahr 1311 überliefert die Inschrift, dass Buyantu Khan viel Geld in eine Renovierung des Tempels investierte. Im Jahr 1342 wurde unter Togoon Temür Khan nochmals eine aufwendige Renovierung vorgenommen:
„[…] Um den Stupa malten sie Gold. Sein Glanz blendete das Auge. Was den Pavillon betrifft, innen und außen, oben und unten, in seiner ganzen Größe, in allen Drehungen und Windungen wie auch in seinen Schnitzereien, Lackierungen und Tünche, gab es nichts, das nicht fest und schön, fein und perfekt war. Sie verdoppelten dreifach seine Tore und umgaben ihn mit einer geschlossenen Mauer. Er war strahlend neu.“
Umgeben war das große Zentralgebäude von jeweils zwei kleineren Gebäuden auf der westlichen und östlichen Seite, einem kleinen Nordgebäude sowie einem Torhaus auf der Südseite. Das ganze Ensemble war nach außen geschlossen und von einer Mauer umgeben. Eines der westlichen Nebengebäude wurde ebenfalls archäologisch untersucht. Erhalten hatten sich vor allem dicke Fundamentlagen aus groben Flussgeröllsteinen, die vermutlich eine kombinierte Stampflehm-Holzkonstruktion trugen. Funde von Dachziegeln weisen auch hier eindeutig darauf hin, dass diese Gebäude ebenfalls in chinesischer Bautradition errichtet wurden.